Tod eines Straßenhändlers (German Edition) by Janwillem van de Wetering
Autor:Janwillem van de Wetering [van de Wetering, Janwillem]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783644508217
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2015-03-17T16:00:00+00:00
Grijpstra entdeckte de Gier, der einen Baumstamm betrachtete. Der geschmeidige Körper des Brigadiers schwankte leicht, als er dastand, die Hände auf dem Rücken verschränkt, trübsinnig die grüne Rinde der Ulme anstarrend.
Cardozo beobachtete den Brigadier ebenfalls. «Störe ihn nicht», sagte Cardozo und hielt Grijpstra zurück. «Er ist beschäftigt. Er schwankt. Guck mal.»
«Ja, du hast recht», sagte der Adjudant.
«Ist er etwa Jude?», fragte Cardozo.
«Nicht dass ich wüsste», sagte Grijpstra. «Doch, ja, ich glaube, er hat mir mal gesagt, dass er eine jüdische Großmutter hat.»
«Siehst du», sagte Cardozo, «er ist Jude. Wenn seine Großmutter jüdisch war, dann war es auch seine Mutter, und deshalb ist er ein Jude. Es geht über die weibliche Linie, was sehr weise ist. Niemand weiß genau, wer sein Vater war, aber man kann sicher in Bezug auf die Mutter sein. Und Juden schwanken, sie wiegen sich immer. Das heißt, wenn sie ein Problem haben oder sich auf etwas konzentrieren. Sie tun es auch beim Beten. Vor und zurück, vor und zurück. Eine seltsame Angewohnheit, nicht wahr?»
«Nein», sagte Grijpstra. «Der Brigadier ist ein einfacher Mensch, genau wie ich. Er schwankt, weil ihm danach zumute ist. Und nicht, weil er jüdisches Blut in den Adern hat. Vielleicht hat er gar keins, vielleicht hat ein anderer mir erzählt, dass er eine jüdische Großmutter habe.»
«Die Niederlande hatten nur einen Philosophen», sagte Cardozo, der sehr langsam sprach und jede Silbe deutlich artikulierte. «Spinoza. Er war Jude und hat nicht einmal in Holländisch geschrieben, sondern in Latein.»
«Warum hat er nicht auf Holländisch geschrieben?»
«Er konnte nicht. Hast du schon mal versucht, subtile Gedanken auf Holländisch auszudrücken?»
«Ich habe nie subtile Gedanken», sagte Grijpstra, «aber es wird Zeit, dass wir welche haben.»
«Ja», sagte de Gier und hörte auf, sich zu wiegen. «Es wäre besser, du tust ausnahmsweise mal etwas Produktives, Cardozo, anstatt die Überlegenheit deiner Rasse zu beweisen. Der Commissaris möchte, dass du mir hilfst.»
Er erläuterte seine Theorie über die Waffe.
«Eine Kugel und ein elastisches Band», sagte Cardozo. «Ja.»
«Wie konnte man damit also aus größerer Entfernung Rogge mitten ins Gesicht treffen?»
Cardozo verschränkte die Hände auf dem Rücken, schloss die Augen und begann, sich zu wiegen. Nach einer Weile öffnete er die Augen wieder.
«Ich werde es dir sagen, Brigadier, wenn ich es weiß. Es wird mir einfallen. Aber nicht, wenn du mich drängst.»
«Bah», sagte de Gier. Er erinnerte sich, wie er den Wasserschutzpolizisten geholfen hatte, die nasse Leiche der alten Frau aus der Gracht zu ziehen. Er erinnerte sich auch an den Gesichtsausdruck der Leiche. Sie war ermordet worden, als sie versuchte, irgendeine Information weiterzugeben. Das Gesicht hatte einen eifrigen und sogar friedlichen Ausdruck gehabt. Sie wollte gerade den Commissaris sprechen, ihren alten und engen Freund. Sie hatte kokett ausgesehen. Kokett und eifrig. Grijpstras Hand lag auf der Schulter des Brigadiers.
«Gehen wir», sagte Grijpstra. «Wir beide haben noch einiges zu erledigen. Du musst zwei Nutten überprüfen und ich einige nette Damen anrufen. Aber wir haben noch etwas Zeit. Hör auf, den Baum anzustarren, er hat dir nichts zu sagen. Stell dir mal vor, man knüpft eine Leiche an einen Baum und wirft sie dann ins Wasser.
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